Eine Geschichte über *die* Geschichte – mit Storytelling zur Stimmen(-Vielfalt)

Bei dieser Methode soll das Archiv der Flucht um ein Archiv der Stimmen(-Vielfalt) von Jugendlichen erweitert werden. Die Geschichten und Erzählungen aus dem Archiv sollen aufgeschrieben und erzählt werden. Dabei erweitern die Jugendlichen die Erzählungen aus dem Archiv der Flucht mit ihren eigenen Erfahrungen und Geschichten. Dafür werden verschiedene Aspekte innerhalb der Biographien Rassismuserfahrener besprochen und gleichzeitig unterschiedliche Lösungsansätze thematisiert. Angelehnt an die Storytelling Methode, sollen die Teilnehmenden Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zu der Erzählung aus dem eigenen Leben aufdecken und erarbeiten. In der Folge werden die Erzählungen aus dem Archiv der Flucht durch geschriebene Beiträge, über Sprachnachrichten oder Videobotschaften festgehaltene Geschichten der Jugendlichen erweitert.

Dauer

Kurzworkshop (3h – 4h)

Empfohlene Altersgruppe

ab 13 Jahre

Themen/Inhalte

Rassismuskritik,

Storytelling, Empowerment, Widerstand, Rassismus- und Diskriminierungskritik, Klassismus, Privilegien, Mehrsprachigkeit, Identitätenvielfalt.

Digitale Werkzeuge und Medienpraxis

  • Padlet (digitale Pinnwand)
  • vielfältige Medienformate wie Texte, Bilder, Videos, Links, Sprachaufnahmen, Bildschirmaufnahmen und Zeichnungen können hier abgelegt werden.

 

Technische Ausstattung Teilnehmende

  • Smartphone/Tablet oder Computer (1x pro 2-4 Teilnehmende)
  • Internet

ZUR FREIEN NUTZUNG

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Bildungsmaterial ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Sie können dieses Bildungsmaterial frei nutzen, weiterbearbeiten, neu veröffentlichen, sofern Sie die Namen der Erstellenden angeben wie folgt:


CC-BY 4.0 medialepfade.org; Sika Dede Puhlmann, Katrin Hünemörder, Dr. Christine Kolbe, Daniel Seitz, Birte Frische, Eva Hasel, Christine Lordong, , Mohammed Habibullah Scheikani, Aleksandar Vejnovic

Anschlüsse zum Archiv der Flucht

Zu Beginn wird das Archiv der Flucht vorgestellt. Dabei wird die Relevanz des Archivs als Sprachrohr für die Stimmen marginalisierter, ausgegrenzter und geflüchteter Menschen hervorgehoben. Durch die Stimmenvielfalt des Archiv der Flucht werden vielschichtige Erzählung der Geschichten der Kindheit, der Familien, der Herkunftsländer und der Flucht erzählt. Mit dieser Ausgangssituation schauen sich die Jugendlichen die Videosequenzen aus dem Archiv der Flucht an. 

Die Teilnehmenden können aus dem Archiv frei wählen, welche Sequenzen sie sich anschauen möchten. Sie bekommen dafür einen begrenzten zeitlichen Rahmen. 

Besonders zu bestimmten Schlagworten wie Kultur, Sprache, Kindheit im Kontext von rassistischer Ausgrenzung sollen sich die Jugendlichen auf einem Padlet (digitale Pinnwand) Notizen machen. 

Gedanken und Eindrücke, die während des Anschauens der Videosequenzen aufkommen, sollen festgehalten werden. 

Das Archiv wird als Inspirationsquelle für die eigene Geschichte und als Einstieg in das Themenfeld genutzt.

Storytelling, Empowerment, Widerstand, Rassismus- und Diskriminierungskritik, Klassismus, Privilegien, Mehrsprachigkeit, Identitätenvielfalt.

Zielgruppe und Bildungsorte  | Präsenz + online

Primäre Zielgruppe sind Jugendliche aus Schulen sowie außerschulischen Einrichtungen (wie zum Beispiel Stadtteilzentren, Stadtbibliotheken, Wohngruppen, Jugendvereine, Häusern der Jugend, Theatergruppen etc.) Die Gruppengröße kann von 10 bis 20 Teilnehmenden variieren. Durch den Padlet basierten Ansatz, ist es gut möglich, den Workshop auch remote bzw. im Homeschooling durchzuführen.

Bildungsziele und Handlungsoptionen

Die Workshop-Teilnehmenden sollen sich kritisch über gesellschaftliche Verhältnisse bewusst werden. Dazu gehört das Verständnis, dass Rassismus und Diskriminierung dazu führen, dass einzelne Geschichten in Erzählungen über die Gruppe der Geflüchteten untergehen, indem sie homogenisiert bzw. vereinfacht wird. Im Zuge dessen soll das Erfahrungswissen der Teilnehmenden über einschneidende Ereignisse aus der Vergangenheit (z.B. aus der Kindheit oder im familiären Kontext) aus unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten in Form einer ergänzenden erzählten Geschichte aufbereitet werden. Die Lernprozesse während dieser Methodeneinheit zielen darauf, einzelne Identitäten stärker sichtbar zu machen. Ziel dieser Methode ist es außerdem, dass möglichst viele der Anwesenden in ähnlichen Situationen von den Erfahrungsgeschichten, die sonst in dieser Form kaum zugänglich sind, profitieren. Als Produkt entsteht aus diesem Prozess die sog. „Erfahrungsgeschichte“. Das ist in der Regel eine schriftlich festgehaltene Nacherzählung von Ereignissen in narrativer Form. Letztendlich soll die Methode zu einer verbesserten Speicherung des Wissens und die Kontextualisierung der eigenen Erfahrungen beitragen.

An Rassismus anschließende Schemata, die über Medien erlernt und angeeignet werden, stehen auf allen gesellschaftlichen Ebenen als potenzielle Deutungs- und Handlungsressourcen zur Verfügung. Daraus folgt, dass Rassismus permanent wirkt, ohne dass wir uns darüber bewusst sind. Diese Erkenntnis während des Workshops zu gewinnen, schafft Handlungsfähigkeit. Denn Rassismus besteht aus kollektiven Bildern, Erzählungen und gesellschaftlichen Institutionen, die als historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse tagtäglich spürbar sind und sich verfestigen.

Das Format ist für die Gesamtgesellschaft von Bedeutung, weil es einzelne Geschichten hervorhebt und somit dazu beiträgt, dass sie in der Fülle an Geschichten nicht verloren gehen. Communities werden gestärkt, indem ihre Lebensrealitäten und Marginalisierung endlich auf Gehör stoßen und hervorgehoben werden. Somit entstehen Geschichten, die dafür sorgen, dass Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft Empathie entwickeln und gleichzeitig marginalisierte Menschen sich repräsentiert sehen. Das Format soll ein breites Netzwerk von Geschichtenerzähler*innen schaffen und mehr Raum für die Artikulation der eigenen, marginalisierten Geschichte entstehen lassen.

Dieses Format findet an Orten wie beispielsweise Stadtbibliotheken oder Stadtteilzentren mit größerer Reichweite statt. Idealerweise wird das Angebot im Vorhinein angekündigt und von Multiplikator*innen auf entsprechenden Kanälen verbreitet, sodass Interessierte die Möglichkeit bekommen, an dem Format teilzunehmen. Diese Methode ist vor Ort sowie online durchführbar.

 

Ausführliche Workshop- oder Modulbeschreibung

Das Erzählen von Geschichten findet in vielen Situationen statt, vom Gespräch am Küchentisch bis zum religiösen Ritual. Oder auch wie im Archiv der Flucht, wenn sich die Erzählenden während des Erzählens vor allem auf (teilweise traumatische) einschneidende Ereignisse aus der Vergangenheit fokussieren sollen. Manche Erzählsituationen erfordern Ungezwungenheit, andere sind formell. Einige  Erzählsituationen wiederum erfordern bestimmte Themen, Haltungen und künstlerische Ansätze. Vor allem aber fördert das Erzählen von Geschichten die aktive Vorstellungskraft der Zuhörer*innen. Somit wird die Storytelling-Methode als eine interaktive Form der Kunst, mit Worten und Handlungen die Elemente und Bilder einer Geschichte zu umhüllen und die Vorstellungskraft der Zuhörenden anzuregen, in den Kontext des Archiv der Fluchts eingewoben.

Die praktische Medienarbeit erfolgt durch die Arbeit mit Padlet. Padlet ist eine digitale Pinnwand auf der Texte, Bilder, Videos, Links, Sprachaufnahmen, Bildschirmaufnahmen und Zeichnungen abgelegt werden können. Für die ersten Schritte mit digitalen Medien ist Padlet sinnvoll, weil es leicht bedienbar und nachvollziehbar ist. 

Die Teilnehmenden lernen anhand dieser Methode den Aspekt der Mediengestaltung kennen, indem sie ein digitales und kollaboratives Template in Form von Text füllen. Das Storytelling kann dem Lehrenden sowie den Lernenden helfen, komplexe Inhalte leichter und verständlich aufzubereiten.

Die Methode unterstützt im besonderen Maße die Entwicklung des sozialen Lernens und kann zu einer verbesserten Wissensspeicherung beitragen.

Im Anschluss an das Format stehen die Geschichten von  Jugendlichen (sofern sie eingewilligt haben) einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung. Ein Anschluss-Format könnte zum Beispiel eine erweiterte Form der Verbreitung / Veröffentlichung der Inhalte enthalten. Die Ergebnisse sind nachhaltig, weil sie auf dem Padlet veröffentlicht und mit weiteren Geschichten befüllt werden können. Es wäre wünschenswert, das Archiv der Flucht mit dem Archiv der Geschichten bzw. dem Storytelling-Padlet zu verlinken.

Vorbereitung 

Da dieses Format komplexes und sensibles Wissen vermittelt,

ist für die Workshopleitung eine ausreichende und grundlegende Vorbereitung sowie Wissensaneignung zu Rassismus und deren gesellschaftlicher Verankerung, zu rassismuskritischen Ansätzen, sowie diskriminierungssensibler Sprache unerlässlich. Es sollten Kenntnisse zu Begriffen wie Privilegien, sowie Wissen über aktuelle Diskurse zur Mehrsprachigkeit und Lösungsansätze im Bereich Rassismus- und Diskriminierungskritik vorhanden sein. Die Jugendlichen sollten individuell in ihrer konkreten Situation betrachtet werden. Ihre Berichte über Diskriminierung sollten unbedingt ernst genommen werden. Außerdem  ist die Entwicklung und Kenntlichmachung einer eigenen Haltung  gegen Rassismus und jegliche Formen der Diskriminierung ausschlaggebend.

Durchführung 

Einstiegsübungen (15 min): Zum Einstieg erfolgt eine soziometrische Aufstellung. 

Die soziometrische Aufstellung hilft, die Atmosphäre zu lockern und ermöglicht erste Kontakte. 

Erläuterung zur Methode: Die Teilnehmenden werden gebeten, sich hinzustellen. Je nach Fragestellung werden sie aufgefordert, sich in einer auf/absteigenden Reihe im Raum zu positionieren. (Bsp.-Fragen: Ist dein Name deutschen Ursprungs? Fällt es deinen Mitmenschen schwer deinen Namen auszusprechen? Bist du in Deutschland geboren? Sprichst du mehr als eine Sprache? Ist dir in deinem Leben bereits Diskriminierung begegnet?) Die Teamer*innen können mitmachen. Bei Ja/Nein-Fragen teilen sich alle jeweils einer entsprechend definierten Ecke des Raumes zu. Es können auch Zuordnungen nach Clustern vorgenommen werden, z.B. Ecke 1 = 4 oder mehr Sprachen, Ecke 2 = 1 Sprache, Ecke 3 = bis zu 3 Sprachen. Die Teilnehmenden dürfen sich natürlich absprechen. Wichtig ist zu vermitteln, dass es nur um das gegenseitige Kennenlernen und nicht um gegenseitige Konkurrenz geht. Die Methode kann zum inhaltlichen Einstieg genutzt werden. 

Input

Ein 15 minütiger Input verschafft einen ersten Überblick zu den wichtigsten Aspekten und Fakten über das Archiv der Flucht und die Hintergründe zur Entstehung in Form einer kurzen Präsentation.

(5 min. Pause)

 Arbeitsauftrag Nr. 1: (30 min.)

Nach der Einstiegsübung und nachdem sich die Workshopleitung vorgestellt hat und der Ablauf des Workshops kommuniziert wurde, folgt eine Auseinandersetzung mit dem Archiv. Zunächst wird die Gruppe in Zweiergruppen aufgeteilt. Die Teilnehmenden entscheiden zunächst selbst, welche Videosequenzen sie sich anschauen. Dabei werden sie gebeten, sich beim Anschauen der Videos Notizen zu machen. Folgende Fragen sollen dabei als Gedächtnisstütze behilflich sein: 

  • Wo spielt die Geschichte der Interviewten? 
  • Welche Sprachen beherrscht die Person? 
  • Wie ist der Name der Person aus der Videosequenz? 
  • Was erzählt die Person über ihre Kindheit und ihre Familie? 
  • Warum ist die Person geflohen? 
  • Auf welche Weise hat die Person Rassismus oder Diskriminierung erfahren? 
  • Was erzählt die Person? 
  • Welche Konflikte gibt es? 
  • Welche Erfolge oder Errungenschaften werden erwähnt?

(5 min. Pause) 

Arbeitsauftrag Nr.2: (30 min.)

Präsentation der Ergebnisse/Wiedererzählung des Gesehenen: Im Anschluss sollen die Zweiergruppen die Inhalte aus der Videosequenz  in der Gesamtgruppe wiedergeben und dabei auf die Fragen aus dem Padlet eingehen. Dabei können sich beide Gruppenmitglieder gegenseitig in den Erzählungen ergänzen. 

Input (15 min.)

Ein weiterer Input ( Teil 2 der erwähnten Präsentation)  mit der Fokussierung auf die Themen Privilegien, Handlungsfähigkeit und Rassismuskritik soll die Erzählungen aus dem Archiv thematisch besser einbetten. 

(5 min. Pause)

Arbeitsauftrag Nr. 3: (45 min.)

Die Teilnehmenden sollen die Erzählung aus dem Archiv mit ihren eigenen Geschichten aus ihrem Leben gegenüberstellen und beide Geschichten miteinander verflechten.

Dabei sollen sowohl Jugendliche mit, als auch Jugendliche ohne persönliche Fluchterfahrung und/oder Rassismuserfahrungen angesprochen werden. 

Die folgenden Fragen bzw. Aussagen sollen die Teilnehmenden durch den Schreibauftrag, die Sprachnachricht oder die Videobotschaft führen: 

  •  Ähnlich wie die Person aus dem Video habe auch ich Erfahrungen mit…. gesammelt.
  • Im Unterschied zu der Person aus dem Video, spreche ich …. 
  • Manchmal sprechen die Menschen in Deutschland meinen Namen falsch aus…..
  • Ich bin privilegiert, weil ich ……
  • Im Vergleich zu der Person aus dem Video….
  • Diskriminierungen sind mir schon häufiger begegnet….
  • …. ich wusste nicht was ich tun sollte….
  • Die Erfahrungen, die der Person aus dem Video passiert sind, sind mir bekannt…. / komplett fremd….
  • Der*Die Held*in der Erzählung ist…. /sind…..weil…..
  • Wir können alle dazu beitragen gegen unterschiedliche  Diskriminierungsformen anzugehen, indem wir…..
  • … eine Lösung könnte sein….
  • Alle Menschen sind gleich viel wert.
  • Rassismus muss benannt werden, weil…. damit….

Reflexion (10 min.)

Im Anschluss an den Workshop sollen die folgenden Fragen an die Teilnehmenden gestellt werden: 

  • Welches Video hast du dir angeschaut und wieso ? 
  • Hast du Interesse daran, dir weitere Videos anzuschauen? 
  • Hat dir der erste Arbeitsauftrag der Wiedererzählung des Videos gefallen? 
  • Wirst du dich weiter mit dem Archiv der Flucht beschäftigen? 
  • Wie hat dir das Aufschreiben deiner Geschichte gefallen? 
  • Wie leicht oder schwer fiel dir das Schreiben? 
  • Haben dich Aspekte aus dem Archiv der Flucht an Ereignisse aus deinem eigenen Leben erinnert? 
  • Wie gefällt dir Padlet als Tool? 

Transfer und Handlungsoptionen

Je nach  Motivation der Teilnehmenden besteht die Möglichkeit, die eigens geschriebenen Geschichten weiter zu veröffentlichen um auf diese Weise einen größeren Nachhall zu haben. Teilnehmende, die Interesse an journalistischem Schreiben haben, erfahren durch den Workshop die Möglichkeit ihre Fähigkeiten bzgl. Ausdrucksweise und Kreativität unter Beweis zu stellen. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Geschichten auf unterschiedlichen Plattformen weiter zu verbreiten.  

Nachbereitung

Um die Geschichten ggfs. auf grammatikalische Korrektheit zu korrigieren, wird eine AG Schlussredaktion gewählt, die das gesamte Padlet korrigiert. Diese AG wird  von Erwachsenen unterstützt, die sich in Lektorat gut auskennen. 

Im Nachgang soll die Reflexion und Evaluierung dazu führen, diesen Workshop ggfs. zu verbessern und zu optimieren.