Oral History: Quellen, Kontext und viele Fragen – ein Chat

Die Teilnehmenden produzieren ein peer-to-peer Chat-Format zu erklärungsbedürftigen Stellen der einzelnen Gespräche. Dabei setzen sie sich mit der Bedeutung von Oral History und Quellen auseinander und damit, was diese Art der Geschichtsschreibung auszeichnet. Die Kontextualisierung findet über eine “Messenger”-Simulation statt, die nach einer Frage-Antwort-Logik funktioniert und den Aspekt der “Oralität” in einer vertrauten Weise aufgreift.

Dauer

Halbtagesworkshop (3,5 h)

Empfohlene Altersgruppe

ab 12 Jahre

Themen/Inhalte

Oral History, historisches Wissen, Erinnerungskultur, politische Verhältnisse in anderen Regionen, globale Kontexte, kollektives Gedächtnis, demokratische Geschichtsschreibung, Multiperspektivität, Peer-to-peer Learning

Digitale Werkzeuge und Medienpraxis

  • Textproduktion/Storytelling
  • Chat-Simulation

 

Technische Ausstattung Teilnehmende

  • Tablet oder Computer (1x pro 2-4 Teilnehmende)
  • Internet / online

ZUR FREIEN NUTZUNG

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Bildungsmaterial ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Sie können dieses Bildungsmaterial frei nutzen, weiterbearbeiten, neu veröffentlichen, sofern Sie die Namen der Erstellenden angeben wie folgt:


CC-BY 4.0 medialepfade.org; Eva Hasel, Katrin Hünemörder, Dr. Christine Kolbe, Daniel Seitz, Birte Frische,  Christine Lordong, Sika Dede Puhlmann, Mohammed Habibullah Scheikani, Aleksandar Vejnovic

Anschlüsse zum dem Archiv der Flucht

Das Archiv der Flucht soll nach und nach Gespräch für Gespräch angesehen und aktiv bearbeitet werden: Wo verstehe ich einen Inhalt oder Zusammenhang nicht? Wo fehlt mir eventuell Wissen, um die Geschichte der Person zu verstehen/einordnen zu können? Grundsätzlich sind alle Filme dafür geeignet, evtl. abhängig von Sprachbarrieren und dem jeweiligen Wissensstand/Lehrplan.

Videosequenzen

GUDRUN LINTZEL

Flucht als 12-jährige aus Schlesien nach Deutschland (1945), später aus der DDR in die BRD.


KERIM BOROVINA

Flucht mit Mutter und Schwester während des Bosnienkrieges. Nach dem Krieg kehrte die Familie nach Bosnien und Herzegovina zurück, Kerim kam zum Studium erneut nach Deutschland.

 

Beispielhafte Videoauswahl nach Oberthemen

Herkunfts-/Transitländer

Sowjetunion/Russland:
https://archivderflucht.hkw.de/viktor https://archivderflucht.hkw.de/khesrau-behroz https://archivderflucht.hkw.de/nelly-neufeld https://archivderflucht.hkw.de/nadja-salzmann
https://archivderflucht.hkw.de/sasha-marianna-salzmann
https://archivderflucht.hkw.de/kava-spartak/

Russlanddeutsche:
https://archivderflucht.hkw.de/nelly-neufeld/

Türkei:
https://archivderflucht.hkw.de/levent-konca/

Iran:
https://archivderflucht.hkw.de/hamid-nowzari
https://archivderflucht.hkw.de/saideh-saadat-lendle
https://archivderflucht.hkw.de/mila-mossafer

Afghanistan:
https://archivderflucht.hkw.de/kava-spartak
https://archivderflucht.hkw.de/khesrau-behroz/

Bosnien:
https://archivderflucht.hkw.de/kerim-borovina
https://archivderflucht.hkw.de/remzija-suljic

Bezug zur DDR bzw. Wiedervereinigung

Deutsch-deutsche Geschichte:
https://archivderflucht.hkw.de/gudrun-lintzel
https://archivderflucht.hkw.de/regina-werbert-lehmann/

Flucht & Migration in die DDR:
https://archivderflucht.hkw.de/lucia-muriel
https://archivderflucht.hkw.de/viktor

Identität

Kurd*innen:
https://archivderflucht.hkw.de/abdulkadir-musa/

LGBTQ:
https://archivderflucht.hkw.de/saideh-saadat-lendle
https://archivderflucht.hkw.de/sasha-marianna-salzmann/

Diskriminierungserfahrungen

Antisemitismus:
https://archivderflucht.hkw.de/sasha-marianna-salzmann
https://archivderflucht.hkw.de/nadja-salzmann
https://archivderflucht.hkw.de/gudrun-lintzel

Antiziganismus:
https://archivderflucht.hkw.de/eva-adam/

Rassismus:
https://archivderflucht.hkw.de/eva-adam
https://archivderflucht.hkw.de/kava-spartak
https://archivderflucht.hkw.de/lucia-muriel
https://archivderflucht.hkw.de/fatuma-musa-afrah

Geschlechtsspezifische Gewalt:
https://archivderflucht.hkw.de/fatuma-musa-afrah

Bildungsorte | Präsenz + online

Die Durchführung ist an verschiedenen Orten denkbar, prädestiniert sind Schulen und Bibliotheken als Horte “offizieller” Quellen. Die Methode kann auch komplett digital durchgeführt werden.

Bildungsziele und Handlungsoptionen

Die Teilnehmenden haben verstanden, wie sich Oral History von offizieller Geschichtsschreibung unterscheidet, indem beide gegenübergestellt bzw. ergänzt werden. Sie verstehen die Multiperspektivität der “vielen Wahrheiten” hinter Nachrichten/Enzyklopädie-Einträgen/Geschichtsbüchern. Kontextualisierung macht 1. diese Tatsache greifbar und reduziert 2. die Hürden, die sich bei der Nutzung des Archivs ergeben können.

Wissensvermittlung zu komplexen Zusammenhängen über individuelle Geschichten (heraus- und hineinzoomen), Erschließung eines multiperspektivischen und differenzierten Geschichts- und Menschenbilds.

Ausführliche Workshop- oder Modulbeschreibung

1. Einstieg / Warm up (20’)

Welches Ereignis aus der Geschichte fällt dir ein?
–> woher weißt du davon? Schlagwortsammlung: Familie, eigenes Erleben, Bücher, Schule, Museen, etc.

Das alles sind Quellen! Und du stellst auch selbst welche her:
Messenger-Kommunikation, Chats
–> Wodurch gekennzeichnet?

> Einfache Sprache (Oralität)
> Frage/Antwort
> Alltagsgeschichte(n)

Das ist ganz nah an ORAL HISTORY.

Definition:

Alltagsgeschichte

Gruppen eine Stimme geben, die sonst keine haben

Videointerviews + Transkripte

Vergleiche mit/Einbettung in andere Quellen

2. Das Archiv der Flucht kennenlernen (30’ bis 60’)

Filme/Sequenzen in Kleingruppen ansehen
–> Die Entscheidung für den jeweiligen Film wird durch die Lehrperson getroffen, je nach Unterrichtsstoff/Kontext (Auswahl deutschsprachiger Gespräche nach Themengebieten s.u.). –> Es empfiehlt sich, eine 15-30-minütige Sequenz aus einem der Gespräche auszuwählen.

Während des Ansehens des Films sollten die Teilnehmenden jeweils für sich auftauchende Fragen schriftlich festhalten:
Was habe ich nicht verstanden?
Worüber will ich mehr wissen?

Im Anschluss werden alle Fragen gesammelt und einzeln auf Karten geschrieben. Diese Karten werden dann wiederum durchmischt und jede/r Teilnehmende bzw. jede Kleingruppe zieht eine Frage, die sie dann im nächsten Schritt beantworten soll.

Kurze Reflexion und Festhalten der Eindrücke:

> Aus welcher Perspektive wurde erzählt? (Geschlecht, Nationalität, politische Gruppierung, Minderheit, geografischer Fokus?)

3. Arbeitsphase – Antworten finden (45-90’)

Einführendes Gespräch: wie mache ich Recherche / wie und wo finde ich Antworten?

Eigenständige Recherchearbeit in Kleingruppen nach den im Leitfaden beschriebenen Kriterien / ggf. anhand vorgegebener Quellen und Ressourcen

>> Download Leitfaden Internetrecherche [PDF]

4. Dialoge bauen / Kontext mit dem Messenger (30-60’)

>> Chat-Simulator starten

Die Teilnehmenden sollen einen Chat-Dialog simulieren rund um die Frage, die ihnen zugeteilt wurde. Oberstes Ziel dabei ist es, diesen so zu gestalten, dass die ursprünglichen Fragesteller die Antwort gut verstehen. Dabei nehmen sie gleichzeitig zwei Rollen ein: Die des/der Fragenden und des/der Antwortenden.

Formulierung – was brauche ich um zu verstehen? Wie verstehen mich andere? Ermutigung der Jugendlichen, eine einfache, klare Sprache zu verwenden. Wir wollen keine wissenschaftlichen Texte verfassen, sondern allgemeinverständliche Chat-Dialoge.

So kann eine Chat-Simulation ablaufen: Die erste (also eingehende) Chat-Nachricht, die erstellt wird, ist die Frage, die beantwortet werden soll (z.B. “Was war die FDJ?”). Dann folgt eine ausgehende Nachricht, also z.B. “Das war eine Jugendorganisation der DDR.” usw. Daraus können ganze Dialoge generiert werden, in der die Beantwortung der Frage Schritt für Schritt erfolgt (z.B. “Musste man Mitglied werden?” – “Nein, es gab keinen Zwang, aber die Jugendlichen waren aus Vielem ausgeschlossen, wenn sie nicht Mitglied waren.”)

5. Ergebnispräsentation und Reflexion (45-60’)

Die Jugendlichen stellen ihre Chat-Dialoge vor bzw. präsentieren ihre Antwort den ursprünglichen Fragestellern. Dabei erzählen sie, wie sie vorgegangen sind, welche Quellen sie gefunden/genutzt haben und eventuell, welche Unklarheiten dabei aufgetaucht sind.

Vergleich mit dem Gespräch aus dem Archiv der Flucht: Aus welcher Perspektive sind die nun recherchierten Quellen geschrieben?

>Wer?
>Mit welchem Wissen/welchen Voraussetzungen?
>Mit welchem Ziel?

Über was sprechen die offiziellen Quellen im Vergleich zu den Zeug*innen?
Ziel: Verständnis für Objekte und Subjekte der Geschichte zu entwickeln. Z.B. Kriege, Gesetze, politische Entscheidungsträger vs. der Einfluss von diesen auf Individuen und Gruppen.

Reflexionsfragen bzw. Diskussions-Anregungen (u.a. auch geeignet bei kritischen Nachfragen):

Kann Geschichte/eine Quelle allgemeingültig sein?

Ist Geschichte eine kollektive Erfahrung?

Was für Gründe könnte es geben, dass manche Geschichten nicht aufgeschrieben werden?

Weiterführende Informationen, Tools und Hilfsmaterial

Tools

Leitfaden Internetrecherche für Teilnehmende
https://archivderflucht-bildung.org/wp-content/uploads/2021/09/Handout-zum-Ansatz-Oral-History.pdf

Chat-Simulator
https://archivderflucht-bildung.org/workshoptools/chat-simulator